Bundesgerichtshof entscheidet über die Pflicht zur Zahlung von "Negativzinsen" aus einem Schuldscheindarlehen

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Das klagende Land (Kläger) schloss mit der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank (Beklagte) im März 2007 einen als "Darlehen" bezeichneten Vertrag, dessen Konditionen von dem Kläger vorgegeben wurden. Nach Überweisung der "Darlehenssumme" stellte der Kläger der Beklagten fünf gleichlautende Schuldscheine über jeweils 20.000.000 € aus. Diese werden mit den Worten

"[Der Kläger] (Darlehensschuldner) schuldet [der Beklagten] (Darlehensgläubiger) EUR 20.000.000 […]"

eingeleitet und beinhalten im Anschluss u.a. folgende Angaben:

"1. Das Darlehen ist, […], bis zum Ablauf des der vereinbarten Fälligkeit des Kapitals vorhergehenden Tages, wie folgt jährlich zu verzinsen:

Nominalzins3-Monats-EURIBOR+0,1175%

Höchstsatz5,00%

[…]

3. Das Darlehen in Höhe des Nennbetrags ist zur Rückzahlung fällig am 08.03.2017.

[…]

6. Die Abtretung der Darlehensforderung ist nur im Ganzen zulässig. […] In jedem Fall wird der Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen nur auf ein Konto des Darlehensgläubigers in der Bundesrepublik Deutschland überweisen."

Ab März 2016 errechnete sich unter Anwendung der Zinsformel nach Ziffer 1 ein negativer Wert, der bis zum Laufzeitende einen Betrag in Höhe von 158.159,75 € ergab.

Der Kläger ist der Meinung, dass ihm die Beklagte ab dem Zeitpunkt, zu dem der Zinsaufschlag ("0,1175%") betragsmäßig hinter dem negativen Referenzzinssatz ("3- Monats-EURIBOR") zurückgeblieben war, die Zahlung von "Negativzinsen" schulde, weil in den Schuldscheinen zwar eine Zinsobergrenze ("5,00%"), aber keine Zinsuntergrenze vereinbart worden sei. Er begehrt mit seiner Klage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 158.159,75 € nebst Verzugszinsen sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme einer Nebenforderung stattgegeben. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung des Senats:

Der Senat hat die Revision zurückgewiesen und entschieden, dass es bei einer unter Geltung des dispositiven Gesetzesrechts von § 488 Abs. 1 BGB getroffenen Zinsabrede, nach der eine Änderung des in Bezug genommenen Referenzzinssatzes zu einer automatischen Veränderung des Vertragszinses in dem durch einen Zinsaufschlag und eine Zinsobergrenze vorgegebenen Umfang führt, keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze bedarf, um bei einem Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung von nominal negativen "Zinsen" an den Darlehensnehmer auszuschließen oder zu begrenzen.

Der Begriff "Zins" wird im Gesetz nicht definiert, sondern von der Privatrechtsordnung vorausgesetzt. Zins im Rechtssinne bedeutet danach das für die Möglichkeit des Gebrauchs von zeitweilig überlassenem Kapital zu leistende Entgelt, das zeitabhängig, aber zugleich gewinn- und umsatzunabhängig berechnet wird. Nach dieser Definition kann ein Zins – weil ein Entgelt – nicht negativ werden. Im normativen Zusammenhang von § 488 Abs. 1 BGB bedeutet dies, dass dem Zins eine definitorische Untergrenze bei 0% immanent ist, bei deren Erreichen die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung entfällt. Damit lässt sich eine Umkehrung des Zahlungsstroms von dem Darlehensgeber an den Darlehensnehmer nicht vereinbaren.

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass nach dem für die rechtliche Einordnung maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Parteien ein gesetzestypischer Darlehensvertrag mit Zinsabrede verbindet. In dem Zusammenwirken zwischen dem variablen Zinssatz einerseits sowie einer Zinsobergrenze andererseits liegt lediglich eine Regelung über die Höhe des Zinses im Rechtssinne, den der Darlehensnehmer nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zu zahlen hat. Aus der Ausstellung von Schuldscheinen kann nicht auf den Parteiwillen geschlossen werden, ein von dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB abweichendes Pflichtenprogramm zu vereinbaren. Der äußeren Form der Vertragsgestaltung kann keine größere Bedeutung beigemessen werden als ihr nach dem Vertragsinhalt zukommt.

Unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Auslegungsgrundsätze ist die Zinsklausel in Ziffer 1 im Einklang mit dem gesetzlichen Leitbild von § 488 Abs. 1 BGB dahin auszulegen, dass die Beklagte nicht zur Zahlung der rechnerisch ermittelten "Negativzinsen" verpflichtet ist. Das folgt, wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, aus der Zusammenschau von Ziffer 1 mit der mit ihr inhaltlich zu einer Einheit verbundenen Einleitung und der Ziffer 6. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Zinsklausel im Unterschied zu der Zinsobergrenze keine ausdrückliche Zinsuntergrenze enthält. Die unterbliebene ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruht darauf, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen sind, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrages angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne. Das Äquivalenzprinzip kann im Rahmen der Vertragsauslegung nicht dazu herangezogen werden, um die Wertigkeit von Leistung und Gegenleistung neu zu bestimmen. Es ist deshalb ohne Belang, ob die Bank bei Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null ihre Gewinn- oder Refinanzierungsmarge ausweiten könnte, je weiter sich der Referenzzinssatz in den negativen Bereich entwickelt.

Diese Auslegung der Zinsklausel entspricht aus der objektiven Sicht der Parteien auch dem Verständnis redlicher und verständiger Vertragspartner in ihrer Eigenschaft als professionelle Marktteilnehmer. Die Vereinbarung eines bestimmten Referenzzinssatzes – wie hier des 3-Monats-EURIBOR – lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass sich die Bank kongruent zu diesem refinanziert. Die Refinanzierung der Bank ist in der Regel ohnehin nicht vom Erwartungshorizont des Kunden umfasst. Dabei ist es unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Auslegungsgrundsätze ohne Belang, ob nach der Zinsentwicklung bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null während der Vertragslaufzeit für die Vertragsparteien vorherzusehen oder zumindest nicht auszuschließen war.

Quelle:

Bundesgerichtshof | Urteil vom 9. Mai 2023 | Aktenzeichen XI ZR 544/21

Vorinstanzen:

Landgericht Düsseldorf – Urteil vom 11. März 2020 – 13 O 322/18

Oberlandesgericht Düsseldorf – Urteil vom 1. Dezember 2021 – 14 U 78/20